Nie wieder Führung ohne Menschlichkeit – der Weg zu mehr emotionaler Kompetenz

by | 12 Aug 2020 | Changemanagement, Karriere, Kulturwandel, Leadership

Die Anforderungen an Führungskräfte verändern sich stetig. Gerade in den turbulenten Monaten um den Lockdown herum gab es mannigfaltige Emotionen, die es zu bewältigen galt – im häuslichen Umfeld genauso wie im Businessumfeld. Stand hier zunächst die fachliche Qualifikation von Führungskräften im Mittelpunkt, sind nun soziale und emotionale Kompetenzen Voraussetzung für gelingende Führung geworden. Dennoch bleibt das Thema Führung und Emotion in Organisationen ein Spannungsfeld, das kontrovers diskutiert und mit großer Unsicherheit behandelt wird. In diesem Blogartikel erzähle ich Ihnen, was meine Kunden und ich zu diesem Thema erlebt haben und wie wichtig Emotionen für die Führungskultur sind. Außerdem zeige ich Ihnen wie Sie über positive Emotionen positive Veränderungen in Ihrer Organisation erreichen.

„Es tut mir so leid – ich sitze hier vor Euch und könnte nur heulen. Es ist unglaublich, welche Achterbahnfahrt der Gefühle ich seit dem Umzug ins Homeoffice durchlebe. Ich bin so dankbar, dass es meiner Tochter endlich wieder besser geht, denn ich hätte nie für möglich gehalten, dass dieses Virus sie uns fast genommen hätte.“

Das waren die persönlichen Begrüßungsworte eines Chefs von fast 40 Mitarbeitern, die er an eben diese in der ersten Online-Teamsitzung über ihre Laptop-, Handy- und Rechner-Monitore richtete, unvermittelt morgens zum Einstieg. Seine Tochter war einer der ersten Corona-Patienten in einem Münchner Klinikum gewesen und musste zwei Wochen lang beatmet werden, um über den Berg zu sein.

Führung und Emotion – unvereinbar oder unabdinglich?

Natürlich machte sich erst einmal betretene Stille breit, denn die Betroffenheit darüber, dass der Chef dieses Teams beinahe seine Tochter an das Virus verloren hätte, war groß. Eine Welle des Mitgefühls folgte. Als ich diese berührende und menschliche Tragödie in meiner Yogagruppe – natürlich anonym – berichtete, weil sie mich selbst sehr bewegte, fiel mehrfach der folgende Satz:

„So etwas Privates kann er doch seinen Mitarbeitern nicht zumuten!“ – Schnell war die Diskussion darüber entbrannt, ob Emotionen überhaupt mit der Führungsaufgabe vereinbar wären? Der sehr skeptische Unterton schwingt dabei gedämpft mit, übrigens nicht nur in meiner Yogagruppe, sondern genauso oft in den Hochflorteppich-Etagen deutscher Führungsriegen.

Meine Antwort lautet klar und unmissverständlich: „JA – unbedingt! Emotionen sind zentrale Merkmale unseres Menschseins und Führung im eigentlichen Sinne konzentriert sich auf Menschen, nicht auf Prozesse!”

Jeder von uns kennt die riesige Bandbreite an Emotionen im Arbeitsalltag: Freude, Stolz, Leidenschaft, Euphorie – genauso Wut, Neid, Hass, Enttäuschung, Missgunst, Angst, Zweifel, Ärger, Einsamkeit oder Schuld.

Emotionale Intelligenz steht für „menschlich sein“

Natürlich wirken sich diese Emotionen auf den Einzelnen, dessen Organisation und die Kundenbeziehungen aus, trotz der Idee des „rationalen“ Unternehmens. Systemisch betrachtet trägt daher jeder mit seiner emotionalen Intelligenz, sprich seinem Menschsein, dazu bei, ob die Unternehmenskultur anziehend, weil menschlich, oder eher abstoßend, weil unpersönlich auf das Individuum wirkt.

Das Team dieser Führungskraft spendete seinem Chef nicht nur in diesem Online-Teammeeting Gehör und Raum für seine momentane Ohnmacht. Auch im Anschluss daran half es dem Chef durch Zuhören und echtes Interesse an seinem Leid entschieden weiter, weil alle seine zutiefst menschlichen Gefühle verstanden, für ihn da waren, nicht werteten und sich obendrein alle bewusst waren, was sich in seinem Kopf und Herzen zutragen musste – und dass es eben Dinge außerhalb unseres Berufsalltags gibt, die ebenso wichtig sind wie effiziente Zusammenarbeit, glückliche Kunden und erfüllte Zielvorgaben. Das sich ihr Chef menschlich zeigte, rang ihnen Respekt und Hochachtung ab und ließ sie – trotz Social Distancing – noch näher an ihn heranrücken.

In den folgenden Wochen zogen alle an einem Strang und gaben ihrem Chef wieder die nötige Stabilität durch das Wissen, dass er nicht alleine ist und sich auch in herausfordernden Zeiten auf seine Mannschaft verlassen kann. Wer wünschte sich das nicht schon in guten Zeiten?

Ist Emotion wirklich der Intimfeind des Managers?

Emotionen gelten unter Führungspersonen häufig als bedrohlich, schlecht beherrschbar und damit nicht zu managen. Und Manager meinen stark sein zu müssen, keine Schwäche zeigen zu dürfen und dafür wohlfeile Kommentare von der Stange anzubieten. Alles in der Hoffnung, sich so die „emotionalen“ Probleme vom Hals halten zu können.

Da fallen dann Sätze wie: „Bleiben Sie mal sachlich!“ und machen damit das Gegenüber erst recht zum wild fuchtelnden HB-Männchen, dem die Wut und der Ärger schon aus den Ohren dampft. Wie damit nur umgehen? Eine solche Situation kann einem ja nur geradewegs aus den Händen gleiten … und deshalb gelten Emotionen als wahrer Intimfeind des kontrollversessenen Managements.

Vor nicht allzu langer Zeit galten noch die Postulate „moderner“ Führungskultur, nach denen es ausreichte, wenn Vorgesetzte lediglich auf die konfliktbefreite Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter achteten.

Heute sind sich zukunftsorientierte Führungskräfte bewusst, dass neben den kognitiven vor allem die emotionalen Fähigkeiten von größter Bedeutung sind, um Einfluss auf die Gefühlslage der Mitarbeiter und damit die allgemeine Arbeitsatmosphäre zu nehmen, und so letztendlich mehr Produktivität und Leistung zu erzielen sowie Sinn zu stiften.

Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen

Emotionale Führung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Führungskraft in der Lage ist, sich je nach Mitarbeiter und Situation angemessen zu verhalten und auf die emotionalen Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Unser Motivationssystem ist sehr stark auf Empathie und Achtsamkeit ausgelegt. Wenn beides im direkten sozialen Umfeld nicht angesprochen und so das grundlegende menschliche Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz ignoriert wird, entstehen emotionale Verletzungen.

Im vorgenannten Beispiel wirkte es in die entgegengesetzte Richtung: Der Chef wurde von seinem Team aufgefangen, weil ihm in seinem schwächsten Moment mit größter Empathie begegnet wurde. Wer das einmal erlebt hat, wird sich zukünftig noch stärker daran halten, das Menschliche im Unternehmen voran zu stellen, denn eine Ausnahmesituation, große Angst (gerade in Change-Prozessen) und Unsicherheiten, wie aktuell in der C-Krise, kann jeden und jede einmal treffen.

Über Gefühle sprechen, fällt nicht jedem leicht

Das Führungsverhalten ist also eng mit der emotionalen Bindung ans Unternehmen verknüpft. Voraussetzung für ein authentisches und überzeugendes Führungshandeln ist es, die eigenen Gefühle sowohl zu verstehen und einzuordnen, als auch kontrollieren bzw. darüber sprechen zu können. Erreicht wird dies durch ein Bewusstsein für Selbstwirksamkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion, Empathie und emotionale Intelligenz sowie das tiefe Verständnis für die eigenen

  • Werte,
  • Gefühle,
  • Stärken,
  • Schwächen
  • und Motive.
Die Angst, zukünftig viel zu gefühlsbetont aufzutreten, ist übrigens unbegründet, denn in der Geschäftswelt dominieren nach wie vor Rationalität und Logik. Aber erst authentische Emotionen werden zum Garanten für nachhaltiges Wachstum und gewinnbringende Veränderung in Organisationen.

Führungskrisen sind soziale Aufmerksamkeits-Defizite

Ernstzunehmende Führungskrisen entstehen, wenn der Reorganisation von Geschäftsprozessen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, als den Menschen in der Organisation. Die Führungsfähigkeit wird zunehmend geschwächt, wenn sich hinter Allgemeinplätzen versteckt, kein wirkliches Miteinander aufgebaut und die eigene, authentische Persönlichkeit ignoriert wird.

Wer mitten in diesem Aufmerksamkeits-Defizit steckt, fragt sich natürlich, wie die Mitarbeiter am schnellsten wieder auf Augenhöhe erreicht werden können?

Wichtig ist es dabei

  • Vertrauen aufzubauen,
  • eine gemeinsame Vision zu entwickeln,
  • Beziehungen zu vertiefen,
  • positive Energie im Team zu fördern,
  • sinnvolle Entscheidungen zu treffen,
  • aus Fehlern zu lernen und
  • Kompromisse zu schließen.

Gewollt und nicht gekonnt

Ohne Leidenschaft und echte Emotionen, die diese Aktivitäten mit Energie versorgen, wirkt alles nur gewollt und nicht gekonnt. Statt zu begeistern, bleibt bei allen Beteiligten ein fader Beigeschmack zurück. Ohne Emotionen werden Menschen nicht erreicht und abgeholt – doch deren Kreativität, Loyalität und Zuspruch bilden die Voraussetzungen für gelingendes Führungshandeln.

Vor kurzem kam ein Manager aus dem Automotivbereich zu mir ins Einzelcoaching. In einem Kritikgespräch, welches eine Mitarbeiterin in Bezug auf eine Projektarbeit an ihn herantrug, fiel es diesem wie Schuppen von den Augen: „Sie verziehen in meinen Präsentationen nie eine Miene – ständig schaue ich in ein Pokerface und kann einfach nicht einschätzen, ob meine Ideen überhaupt gut bei Ihnen ankommen. Sie verunsichern mich!“

Anhand einer Persönlichkeitstypeneinschätzung gingen wir die vier Grundausprägungen einer Persönlichkeit sowohl anhand seiner eigenen Führungsperson, als auch aller seiner Mitarbeiter durch. Dieses wissenschaftliche Modell ist übrigens kulturell unabhängig und gilt für alle Mentalitäten, die auf unserem Erdball zu finden sind.

Es gibt in fast jedem von uns (bis auf wenige Ausnahmen):

  • Anteile des Wechsel-Typs (der Flexible),
  • Anteile des Nähe-Typs (der Integrator),
  • Anteile des Dauer-Typs (der Kontrolleur) und
  • Anteile des Distanz-Typs (der Analytiker).
Die entscheidende Frage ist daher, in welchem Ausmaß wir welchen Anteil ausleben und wie sich das dann in Kombination mit der jeweiligen Rolle auswirkt, die wir am Arbeitsplatz innehaben.

Selbstreflexion hilft, blinde Flecken zu erkennen

Schnell erkannte der Manager, dass seine Mitarbeiter unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Ketzerische Stimmen mögen nun sagen, dass er das doch vorher hätte wissen können, schließlich arbeitet er täglich mit seinem Team, doch genau hier trifft Anspruch auf Realität. Viel zu wenig beschäftigen sich Führungskräfte mit den Menschen, die sie führen; viel zu oft hingegen mit den Prozessen, die zur Zielerreichung aufgesetzt wurden.

Ich selbst beispielsweise hatte einmal eine Chefin, die sich trotz vieler Jahre der Zusammenarbeit noch immer meinen Namen nicht merken konnte. Das eine Mal war ich Frau Amberger, dann Frau Ammacher, selbst Frau Aumburger kam ihr über die Lippen. Noch geringschätziger kann man seine Mitarbeiter nicht behandeln, wenn selbst der Name egal ist.

Die erwähnte Selbstreflexionsübung brachte dem Automobilmanager endlich Klarheit über seine blinden Flecken, auf die eine seiner Mitarbeiterinnen so eindringlich hinwies. Und auch darüber, woher seine bisherige, irrige Annahme herrührte, dass er im Geschäftsleben grundsätzlich keinerlei Emotionen zeigen dürfe, denn dies passe doch schließlich nicht zu seiner Position als Chef von drei zentralen Einkaufsteams.

Eine gute Portion emotionale Kompetenz

Natürlich waren dessen erste Gehversuche noch „hölzern“, doch genau dann ist ein Sparringspartner hilfreich, der unterstützt, spiegelt, die ersten Erfolge sieht und lobt. Die betreffende Mitarbeiterin gab übrigens Wochen später erneut eine Präsentation vor ihrem Chef und den angrenzenden Abteilungen. Mit breitem Grinsen im Gesicht – denn natürlich fiel ihr sofort auf, dass ihre Kritik auf fruchtbaren Boden gefallen war: jetzt war nichts mehr mit Pokerface und Unsicherheit, wenn sie vor versammelter Mannschaft stand und über den Fortgang des Projektes berichtete.

Ihr Chef brachte sich viel stärker ein, integrierte auch andere Teammitglieder in die Interaktion und zeigte nonverbal wie verbal Wohlgefallen an der Ausarbeitung dieser Mitarbeiterin. Seine Ergänzungen, wie an der ein oder anderen Stelle noch optimiert werden könne, wurden dankend von der Mitarbeiterin aufgenommen und zur Freude meines Klienten umgesetzt.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Fähigkeit zum persönlichen Selbstmanagement ist. Sie erlaubt uns, Strukturen und Mechanismen sozialer Gemeinschaften wahrzunehmen und Beziehungen und Teams zu gestalten – weg von einer lähmenden Angstkultur hin zu einer nachhaltigen Vertrauenskultur.

Gerade in Zeiten von Krisen, Change-Prozessen und Arbeitsplatzunsicherheit müssen Führungskräfte ihre eigenen Emotionen sowie die ihrer Mitarbeiter managen. Die Fachkompetenz spielt im Führungskontext nur eine untergeordnete Rolle, wenn es um Menschenführung geht. Da wir alle auf sichtbare Emotionen angewiesen sind, weil wir eben keine Gedanken lesen können, brauchen wir das Gefühl der Berechenbarkeit. Wer sein Gegenüber nicht einschätzen und deuten kann, hat aus unserem hirnwissenschaftlich erforschten Überlebensprogramm heraus schon verloren. Der Säbelzahntiger will erkannt sein.

Von positiven Emotionen zu positiven Veränderungen

Zuletzt möchte ich Ihnen noch die nachhaltigen Veränderungen auf das Führungsverhalten, d.h. die fünf zentralen Führungsdimensionen, nahebringen, die entstehen, wenn Entscheider über emotionale Intelligenz verfügen und so positive Emotionen erzeugen können:

  • 1. Entwicklung gemeinsamer Ziele und deren Zielerreichung,
  • 2. Bewusstsein über die Bedeutung von Arbeitsabläufen und des eigenständigen Arbeitsverhaltens,
  • 3. Generierung und Aufrechterhaltung von Enthusiasmus, Vertrauen, Optimismus und Kooperation,
  • 4. Ermutigung zur Flexibilität im Entscheidungsverhalten und in Changeprozessen,
  • 5. Hinführen und Aufrechterhalten einer bedeutungsvollen Identität für die Organisation (Unternehmenssinn).
Führungskompetenz bedeutet neben fachlicher Kompetenz eben auch die Übernahme von Verantwortung für die sozialen Belange am Arbeitsplatz, wie beispielsweise Ängste aktiv abzubauen, um ein Vertrauensklima zu schaffen, in dem Mitarbeiter wieder gerne Verantwortung übernehmen, Entscheidungen leichter gefällt und Innovationen begünstigt werden.

Fazit

Wer seiner Rolle als Führungskraft treu bleibt, verteufelt Emotionen nicht, sondern bündelt diese zu uneingeschränkter Glaubwürdigkeit, ethischen Handlungsprinzipien und unterstützt dabei – zum Wohle aller – seine Mitarbeiter bei deren Weiterentwicklung.

So lassen Sie zu, dass Menschen erkennen, wer Sie wirklich sind und was Sie elektrisiert – und letztendlich der Funke der Motivation und Begeisterung für das gemeinsame Tun wieder überspringt. So werden Führungskrisen vermieden und nachhaltiges Wachstum und gewinnbringende Veränderung in Organisationen erreicht.

Wenn auch Sie gerne durch Selbstreflexion Ihre blinden Flecken erkennen und Ihre emotionale Kompetenz schulen möchten, einen Sparringspartner auf dem Weg zu mehr Emotionen in Ihrem Führungsverhalten suchen und auf diesem Wege wieder neuen Schwung in Ihr Team bringen möchten, rufen Sie mich jetzt an oder schreiben Sie mir über mein Kontaktformular. Ich bin nur einen Klick weit von Ihnen entfernt.

Gerne begleite und unterstütze ich Sie auf Ihrem Weg hin zu einer Werte-orientierten Führung, hin zu mehr Menschlichkeit im Umgang miteinander.

Ihre Franziska Ambacher

Ihr Inspirationsfeuerwerk für Veränderung

Ähnliche Artikel

Die einzigen 3 Dinge, die dir die Angst vor beruflicher Veränderung nehmen

Angst vor beruflicher Veränderung?

Hol Dir die Checkliste und überwinde Deine Angst!

You have Successfully Subscribed!